Von Selbstverdrängung


Ich sitze gemütlich mit einer Freundin und einem ihrer Orchesterkollegen auf einer Wiese, die ehemals ein Friedhof war. Unschwer zu erkennen an den Grabsteinen um uns herum, deren Inschriften, nicht nur weil die Sonne bereits untergegangen ist, unleserlich sind. Bis gerade eben hatte um uns herum noch von mehreren Bühnen her Elektromusik gewummert, wir tanzend in der Menge. Jetzt ist es nach 23 Uhr, heißt: Schicht im Schacht. Weil wegen Öffentlichkeit und Lärmbelästigung, obwohl in den Häusern ringsherum sowieso nichts ist, außer um diese Uhrzeit verlassene Büros, Geschäfte und Lokale. Man kommt ins Gespräch. Ich bin erstaunlich offen heute, ziehe mich nicht, wie sonst so oft bei sozialen Interaktionen mit mir wenig bekannten Menschen, in mich selbst zurück, sondern beginne sogar die Konversation. Wie heißt du eigentlich?, frage ich ihn. Ein Justus ist er. Banalitäten tauschen wir aus. Ich erfahre: Er muss morgen früh aufstehen, um zu arbeiten. Ich erfahre auch: Seine Arbeit ist in der Verwaltung der städtischen Uni. Das studiere er nämlich. Verwaltung, um Beamter zu werden. Weil er Sicherheit will. Dabei findet er sein Studium beschissen. Die Leute, die Inhalte. Und was ist mit Selbstverwirklichung?, frage ich, wir haben doch nur das eine Leben, Mensch, denkend. Er zuckt die Schultern. Is‘ dann wohl nicht. Zündet sich die zigste Zigarette an diesem Abend an, beginnt das nächste Gesprächsthema. Ich sitze da und versuche, zu verstehen.

Kommentare

  1. Ich glaube, vielen Leuten fehlt der Mut, herauszufinden, was sie wirklich wollen. Denn das bedeutet, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, vielleicht auch Umwege in Kauf zu nehmen oder auch mal zu scheitern. Vor allem, wenn man einen bestimmten Weg schon eingeschlagen hat, ist es bestimmt schwer, umzukehren und nochmal einen anderen Weg zu versuchen.
    Weißt du, was du willst? Verfolgst du deinen Weg? Ich glaube, das sind die Fragen, die ich mir nie aufhören darf zu stellen.

    Liebe Grüße,
    Malika

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    1. Oh, ja. Ich glaube, das ist auch eine meiner größten Ängste. Irgendwann zu bemerken, dass der Weg, den ich gegangen bin mich in eine ganz falsche Richtung gebracht. Weil ich mich an einigen Punkt lieber in Sicherheit gewägt habe, als einmal aus meiner Komfortzone herauszutreten.
      "Weiß du, was du willst? Verfolgst du deinen Weg?", vielleicht ist es schlau sich solche Fragen irgendwo ganz fett zu notieren, wo man immer wieder draufstößt...

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  2. Hi Du,
    hab neulich erst wieder gelesen, dass die Menschen ein Leben lang dem Geld (und der Sicherheit) hinterherrennen, und haben dann am Schluss nichts davon, weil ihr Leben aus nichts anderem bestand.... irgendwie hat mich dein Post daran erinnert und ich musste das mitteilen :D

    Liebe Grüße,
    Julia

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    1. Hi zurück!:)

      Ja, der Spruch passt. Ich bin nur immer noch nicht dazu gekommen, zu verstehen, wie Menschen zu diesem starken Drang nach Sicherheit kommen (wozu ja ein gewisses Geldpolster dazugehört), der sogar den Drang nach Selbstentfaltung oder whatever übersteigt.
      xx

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  3. Wenn jemand wirklich Sicherheit will, dann ist das ja okay. Man kann ja auch Arbeit einfach als Arbeit sehen und sich sein Abenteuer anders schauen.
    Aber wenn jemand eigentlich total unglücklich mit seinem Beruf ist... Mhm. Schwierig. Das könnte ich mir für mich selbst nie vorstellen! Auch, wenn ich manchmal gerne etwas mehr Sicherheit hätte. ;) Aber alles gleichzeitig geht dann halt einfach nicht.

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    1. Hm, ja. Es gibt natürlich super viele verschiedene Lebensmodelle und insbesondere wenn man einfach nicht so viel Geld hat, ist Pragmatismus wahrscheinlich in vielen Fällen notwendig. Es ist nur dieses sich und seine Wünsche von Anfang an so klein zu machen und nicht einmal irgendein Risiko einzugehen, was ich so schade finde...

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