Von niedergeknüppelten Protesten
Ich hatte vor einigen Nächten einen Traum. Einen Traum, der mich
auch nach dem Aufwachen noch so sehr beschäftigt hat, dass ich ihn aufschreiben
musste – ein wenig stilistisch ausgeschmückt, versteht sich, und ein wenig
logischer aufgebaut. Wovon er handelt, ist glaube ich leicht erkennbar. Ich bin
mir fast sicher, dass er für mich immer noch eine Art Verarbeitung der
Geschehnisse während der G20-Proteste darstellt, bei denen ich dabei war. Vielleicht auch ein wenig durchmischt mit den teils dystopischen teils realistischen Darstellungen von etwa George Orwell (1984) oder Bong Joon-Ho (Okja).
__
Sie hatten einfach nur am Rand gestanden, nichts ahnend,
nichts tuend. Nichts hatten sie getan! Außer schaulustig zu sein.
Es war kein Tag wie jeder andere gewesen. Proteste hatten
sich alle Straßen hoch und runter gezogen. In allen Städten, an jeder Ecke:
Protestschreie. Überall zogen sie auf die Straßen, sogen immer mehr Menschen in
sich auf.
Und an jenem Tag… Da hatten sie sich versammelt, und zwar am Großen Platz in ihrer Stadt. Ein kahler, grauer, überhaupt nicht anheimelnder Platz im Zentrum. Ein Treffpunkt, mehr nicht. Niemand hielt sich hier freiwillig mehr als wenige Minuten auf. Doch er war groß. Riesig. Und perfekt geeignet, um viele Menschen an einem Ort zu zentralisieren.
Sie… hatten sich eigentlich raushalten wollen. Nicht, dass sie nicht politisch waren. Oh nein, ihnen ging das auf keinen Fall am Herz vorbei. Was da gerade passierte. Aber Proteste… sie waren gerade selber im Stress. Studieren. Arbeiten. Umziehen. Leben, eben. (Wer hat da schon Zeit, sich für seine Zukunft zu engagieren?)
Außerdem… war ihnen die Stimmung unheimlich. Menschen, die sich immer mehr hochputschten. Auf allen Seiten. Kein gutes Zeichen. Und trotzdem hatten sie es sich nicht nehmen lassen wollen einmal kurz – von weitem! – vorbeizuschauen. Die Menschenmasse hatte man in der Bahn schon einige Haltestellen vor dem Großen Platz hören können. Genauso wie das Sirenengeheule.
Und da waren sie dann. Vom Bahnsteig hoch und sich geschützt abseits hinter eines der Verwaltungsgebäude stellend, die spärlich auf dem Platz verteilt standen. Direkt vor ihnen: Die Menge. Johlend. Bunt. Fahnenschwingend. Dahinter: Blau aufblinkende Lichter. Lautsprecher fielen sich ins Wort, übertönten sich und ergaben ein nicht zu verstehendes Wirrwarr an Sprachfetzen.
„Sieht doch ganz gut aus“, sagten sie sich noch, als sie sahen, dass die Menge es schaffte, immer weiter vorzurücken. Doch dann.
Das Geschrei explodierte ohrenbetäubend laut, als wäre gerade in einem sehr wichtigen Sportturnier ein sehr wichtiger Punkt erzielt worden... Die Stimmen synchronisierten sich, schwollen an zu immer lauteren, rhythmischen Höhen. Gepfeife. „Was sagen die denn? Was ist los?“, formte die eine mit dem Mund. Ratloses Kopfschütteln, Hände an die Ohren gepresst, langsames Zurückweichen vor dem Schall.
Gerade wollten sie erleichtert die Hände wieder herabsinken lassen, sich leicht überwältigt angrinsen, weil das Stimmengewirr abbrach, da kamen die Menschen plötzlich in Bewegung. In alle Richtungen stoben sie, alle Seitenstraßen anpeilend. Es war, als würde eine Mauer auf sie zugeprescht kommen. Im letzten Moment: Der Satz zur Seite, an die dünnen Wände der Verwaltung gepresst. Wo ging es hin?, die Antwort kam sofort. Hinter der Menschenmasse: Ein Getümmel an Bunten und Anzügen. Polizisten – und war dort etwa auch das Militär? – in dicker Schutzummantelung mit noch dickeren Helmen. Keine Gesichter. Cyborg-ähnlich. Jeder Knüppel gezogen und kaum einer fand keinen Kontakt mit menschlicher Haut. Menschen rannten, tränenüberströmt, Blicke in Fernen gerichtet, die alles ausblendeten außer sich selbst und die Knüppel auf ihren Fersen. Schockstarre. Blut! Zerrissene Kleidung! Sich schnell verfärbende Haut!
„Uns werden sie schon nicht-“, doch da zog man sie schon mit. „RENNT!“. Und sie rannten. Und die Knüppel rannten auch. „Aber-“, ein Ruck und eine wurde nach hinten gerissen. Knüppel schon erhoben, sauste hinab… Ausgewichen! Und freigerissen. Und weitergerannt.
Dort, die Bahnstation! Treppen hinab, Treppen hinauf. Bahntüren noch offen! Im letzten Moment hineingehüpft. „Aber-“ – „Geht es allen gut? Was machen wir jetzt? Wir brauchen einen Plan!“, während der entfernte Bahnsteig gefüllt wurde mit denen, die auf ihren Anzügen das Wort „POLIZEI“ trugen.
„Erst einmal fahren“, dann Schweigen. Diese Erlebnisse konnten nur im Stillen verarbeitet werden.
Ein, zwei, drei Bahnstation: Bloß möglichst weit weg vom Ort! Vier kam in Sicht. „Oh Gott!“, exklamierte einer. Polizei, Militär, Sperrungen. Keine Chance.
Die Bahn hielt an. Türen auf. Millitärsmützen mit Scharfschussgewehren hinein. „Steigen Sie unverzüglich aus und lassen Sie sich kontrollieren! Wenn Sie ein reines Gewissen haben, wird Ihnen nichts passieren!“, schmieriges Lächeln und ein Scharren, als die Fahrgäste in einer Bewegung zu Füßen kamen. Der Reihe nach aus der Tür, misstrauische, geschockte, ängstliche Blicke. Kein Ausatmen. Einer vor ihnen fragte: „Was ist denn nun los?“, kühler Blick, Stille. Es sei sein gutes Recht, zu erfahren, was denn los sei! Kalter Blick, eingeübte Handbewegung. Weiter sollte er, weiter ging er. Kein weiteres Wort.
„Ihren Ausweis!“, bellte der kräftige Bulle vor ihnen. Zittrige Hände tüdelten in Jackentaschen, an den Reisverschlüssen von Portemonnaies. Pass rutschte aus den Händen, schnelles Bücken – und ein noch schnellerer, schwerbestiefelter Fuß auf der Identität. Schnell war der Pass in Händen des Uniformierten. Langer Blick auf das Schild, langer Blick in ihr Gesicht. Kein einziges Blinzeln seinerseits. Ihre Lider unkontrolliert zuckend. Kurzes Nicken, zur Seite stellen und warten auf den Rest.
Dann: Ein Wortgemenge. Person in Jeansjacke erhob die Stimme. Die Staatlichen rückten näher. Nichtsdestotrotz: Die Stimme kurbelte sich immer lauter, immer selbstsicherer, bis: harte Faust in der Magengrube. Bodenkontakt. Eingeübte Hände griffen und trugen sie davon. Vorbei.
Sie dahingegen standen frei. Langsamen, unbehaglichen Schrittes ging es die Stufen hinab, aus der Bahnstation heraus. Die Straßen leer. Schnell wollten sie sich auch verkriechen!
Und an jenem Tag… Da hatten sie sich versammelt, und zwar am Großen Platz in ihrer Stadt. Ein kahler, grauer, überhaupt nicht anheimelnder Platz im Zentrum. Ein Treffpunkt, mehr nicht. Niemand hielt sich hier freiwillig mehr als wenige Minuten auf. Doch er war groß. Riesig. Und perfekt geeignet, um viele Menschen an einem Ort zu zentralisieren.
Sie… hatten sich eigentlich raushalten wollen. Nicht, dass sie nicht politisch waren. Oh nein, ihnen ging das auf keinen Fall am Herz vorbei. Was da gerade passierte. Aber Proteste… sie waren gerade selber im Stress. Studieren. Arbeiten. Umziehen. Leben, eben. (Wer hat da schon Zeit, sich für seine Zukunft zu engagieren?)
Außerdem… war ihnen die Stimmung unheimlich. Menschen, die sich immer mehr hochputschten. Auf allen Seiten. Kein gutes Zeichen. Und trotzdem hatten sie es sich nicht nehmen lassen wollen einmal kurz – von weitem! – vorbeizuschauen. Die Menschenmasse hatte man in der Bahn schon einige Haltestellen vor dem Großen Platz hören können. Genauso wie das Sirenengeheule.
Und da waren sie dann. Vom Bahnsteig hoch und sich geschützt abseits hinter eines der Verwaltungsgebäude stellend, die spärlich auf dem Platz verteilt standen. Direkt vor ihnen: Die Menge. Johlend. Bunt. Fahnenschwingend. Dahinter: Blau aufblinkende Lichter. Lautsprecher fielen sich ins Wort, übertönten sich und ergaben ein nicht zu verstehendes Wirrwarr an Sprachfetzen.
„Sieht doch ganz gut aus“, sagten sie sich noch, als sie sahen, dass die Menge es schaffte, immer weiter vorzurücken. Doch dann.
Das Geschrei explodierte ohrenbetäubend laut, als wäre gerade in einem sehr wichtigen Sportturnier ein sehr wichtiger Punkt erzielt worden... Die Stimmen synchronisierten sich, schwollen an zu immer lauteren, rhythmischen Höhen. Gepfeife. „Was sagen die denn? Was ist los?“, formte die eine mit dem Mund. Ratloses Kopfschütteln, Hände an die Ohren gepresst, langsames Zurückweichen vor dem Schall.
Gerade wollten sie erleichtert die Hände wieder herabsinken lassen, sich leicht überwältigt angrinsen, weil das Stimmengewirr abbrach, da kamen die Menschen plötzlich in Bewegung. In alle Richtungen stoben sie, alle Seitenstraßen anpeilend. Es war, als würde eine Mauer auf sie zugeprescht kommen. Im letzten Moment: Der Satz zur Seite, an die dünnen Wände der Verwaltung gepresst. Wo ging es hin?, die Antwort kam sofort. Hinter der Menschenmasse: Ein Getümmel an Bunten und Anzügen. Polizisten – und war dort etwa auch das Militär? – in dicker Schutzummantelung mit noch dickeren Helmen. Keine Gesichter. Cyborg-ähnlich. Jeder Knüppel gezogen und kaum einer fand keinen Kontakt mit menschlicher Haut. Menschen rannten, tränenüberströmt, Blicke in Fernen gerichtet, die alles ausblendeten außer sich selbst und die Knüppel auf ihren Fersen. Schockstarre. Blut! Zerrissene Kleidung! Sich schnell verfärbende Haut!
„Uns werden sie schon nicht-“, doch da zog man sie schon mit. „RENNT!“. Und sie rannten. Und die Knüppel rannten auch. „Aber-“, ein Ruck und eine wurde nach hinten gerissen. Knüppel schon erhoben, sauste hinab… Ausgewichen! Und freigerissen. Und weitergerannt.
Dort, die Bahnstation! Treppen hinab, Treppen hinauf. Bahntüren noch offen! Im letzten Moment hineingehüpft. „Aber-“ – „Geht es allen gut? Was machen wir jetzt? Wir brauchen einen Plan!“, während der entfernte Bahnsteig gefüllt wurde mit denen, die auf ihren Anzügen das Wort „POLIZEI“ trugen.
„Erst einmal fahren“, dann Schweigen. Diese Erlebnisse konnten nur im Stillen verarbeitet werden.
Ein, zwei, drei Bahnstation: Bloß möglichst weit weg vom Ort! Vier kam in Sicht. „Oh Gott!“, exklamierte einer. Polizei, Militär, Sperrungen. Keine Chance.
Die Bahn hielt an. Türen auf. Millitärsmützen mit Scharfschussgewehren hinein. „Steigen Sie unverzüglich aus und lassen Sie sich kontrollieren! Wenn Sie ein reines Gewissen haben, wird Ihnen nichts passieren!“, schmieriges Lächeln und ein Scharren, als die Fahrgäste in einer Bewegung zu Füßen kamen. Der Reihe nach aus der Tür, misstrauische, geschockte, ängstliche Blicke. Kein Ausatmen. Einer vor ihnen fragte: „Was ist denn nun los?“, kühler Blick, Stille. Es sei sein gutes Recht, zu erfahren, was denn los sei! Kalter Blick, eingeübte Handbewegung. Weiter sollte er, weiter ging er. Kein weiteres Wort.
„Ihren Ausweis!“, bellte der kräftige Bulle vor ihnen. Zittrige Hände tüdelten in Jackentaschen, an den Reisverschlüssen von Portemonnaies. Pass rutschte aus den Händen, schnelles Bücken – und ein noch schnellerer, schwerbestiefelter Fuß auf der Identität. Schnell war der Pass in Händen des Uniformierten. Langer Blick auf das Schild, langer Blick in ihr Gesicht. Kein einziges Blinzeln seinerseits. Ihre Lider unkontrolliert zuckend. Kurzes Nicken, zur Seite stellen und warten auf den Rest.
Dann: Ein Wortgemenge. Person in Jeansjacke erhob die Stimme. Die Staatlichen rückten näher. Nichtsdestotrotz: Die Stimme kurbelte sich immer lauter, immer selbstsicherer, bis: harte Faust in der Magengrube. Bodenkontakt. Eingeübte Hände griffen und trugen sie davon. Vorbei.
Sie dahingegen standen frei. Langsamen, unbehaglichen Schrittes ging es die Stufen hinab, aus der Bahnstation heraus. Die Straßen leer. Schnell wollten sie sich auch verkriechen!
Nun, einige Tage später, saßen sie im Wohnzimmer beisammen
vor den Nachrichten. Weitere Bilder von Protesten und Flaschenwerfern. Da, auch
die Behelmung vor Ort. Die Gründe? Noch immer nicht bekannt. Nur Gerüchte in
der erhitzten Sommerluft. Nicht von Interesse für die Entscheidungsmacher. Sie
jedenfalls würden sich nie Knüppeln entgegenstellen (müssen).
Ein langer Atemzug ein, aus. „Aber- das sind doch auch nur Menschen!“, endlich war es raus.
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(Nachtrag: Jetzt greift auch die Tagesschau das Thema Polizeigewalt immerhin flüchtig auf.)
Ein langer Atemzug ein, aus. „Aber- das sind doch auch nur Menschen!“, endlich war es raus.
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(Nachtrag: Jetzt greift auch die Tagesschau das Thema Polizeigewalt immerhin flüchtig auf.)
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